Als Leslie Mandoki (Mándoki László)
Anfang der Siebziger Jahre am Budapester Musikkonservatorium Drums und
Percussion studierte, spielte die Musikkultur auf der anderen Seite des
Eisernen Vorhangs längst verrückt. Bands wie CREAM oder
JETHRO TULL entwickelten den Rhythm and Blues weiter, ein Al DiMeola
hinterließ seine ersten Fingerabdrücke auf dem Gebiet des
Fusion Jazz. Mandoki, wie alle seiner Generation fasziniert vom neuen
Lebens- und Musikgefühl, das seinen Weg auch durch engmaschigste
Grenzzäune Richtung Osten gefunden hatte, stieg zum Star der
Budapester Szene auf. Als Bandleader der Jazzrockformation JAM. In
einem Szenekeller im Budapester Univiertel schlug sich Mandoki mit
seiner Band die Nächte um die Ohren. Das Leben hätte so
unglaublich schön sein können. Aber die Machthaber im
kommunistischen Ungarn wehrten sich brutal gegen die Jugendkultur der
End-60er und 70er - sie wussten, dass sie dem neuen Lebensgefühl
nichts entgegenzusetzen hatten. Und dass es ihnen gefährlich
werden würde.
Es gab für einen Künstler nur zwei Wege aus dem Dilemma: Die
innere Emigration – oder die Flucht. Im Juli 1975 verschwinden
Mandoki, seine Freunde Laszlo Bencker
und Gabor Csupo
aus Ungarn. Und im Westen erscheint ein 21 jähriger Mann, der
nicht nur eine klassische Musikausbildung mitbringt, sondern ein
politisches Bewusstsein. Die Gier nach Freiheit. Nach
Selbstverwirklichung. Hatte all das nicht der Westen versprochen?
Mandoki: "Ein Mann braucht eine Vision. Einen großen Traum, an
den er sich halten kann. Ein Bild im Kopf, das ihn ein Leben lang
verfolgt und beschäftigt. Ein Ziel!"
Leslie Mandoki hatte ein Ziel, eine Vision, ein Bild im Kopf, wie er
sagt. Er wollte Musik machen, und wurde vom Erfolgshunger seiner
eigenen Musik getrieben. Seine Musik. Mandoki schlägt in
München auf. München, Ende der Siebziger! Hier wird der
Kommissar gedreht, der den Bürgern auf seine Art versucht zu
erklären, was mit den jungen Leuten los ist. Die langen Haare.
Nackt im Englischen Garten. Die Tanzschuppen von Schwabing, aus denen
es so süßlich riecht. Wo man sich duzt, auch wenn man sich
nicht kennt. Und Mandoki mittendrin. Ein wenig exotisch mit dem
Ungarn-Schnauzbart, dem melodischen Akzent. Mit dieser ungeheuren
Vitalität. Musiker im alten München ist wie Schauspieler in
Los Angeles. Mandoki war angekommen. Aber seine Musik? Mach lieber das,
sagt man ihm. Das verkauft sich. Und Mandoki macht Dschinghis Khan. Und
ein ganz klein wenig wird er es nie wieder los. Ein Jazz-Rock Musiker
wird Popstar zum anfassen. Heute erinnert sich Mandoki nur noch an die
guten Dinge. Was für Zeiten. Aber das ist nur ein Teil von ihm.
Mandoki liebt das Reden. Er will stundenlang diskutieren. Schön,
dass es die Siebziger sind. Politik ist in. Mandokis Erfolge
ermöglichen ihm die Reisen nach London, Los Angeles, New York. Wo
er neue Freunde findet, Musiker wie er. Und alte Künstler-Freunde
aus der einstigen Heimat die erfolgreich sind wie er. Garbor Csupo, der
mit Laszlo und Leslie durch den Tunnel floh, baute gerade sein
Trickfilmstudio in Hollywood. Heute ist es das zweitgrößte
nach Disney.
Ende der 80er Jahre. Die Haare der jungen Leute sind wieder kürzer
geworden. A-HA! Madonna gibt den Ton an. Leslie Mandoki ist wieder
einen Schritt weiter gekommen Richtung Ziel. In München richtet er
mit seinem Freund und Musenzwilling Laszlo Bencker, mit dem er seit
Teenager-Tagen seinen musikalischen Weg geht, die technisch immer auf
dem anglo-amerikanischen Top-End Standard stehenden Park-Studios ein.
Mitte der 90er übernimmt er mit den Park Studios einen der
größten Studiokomplexe Europas am Starnberger See.
Perfection meets Art. Es spricht sich herum, dass da einer wirkt, der
sein Geschäft versteht. Und die Kunst. Lionel Richie, Phil
Collins, Joshua Kadison und Newcomer wie die No Angels nehmen mit
Mandoki auf. Unzählige Goldene und Platin Schallplatten
hängen an Mandokis Wänden. Disney lässt seine
Soundtracks bei ihm produzieren und DaimlerChrysler lässt ihre
Kampagnen von ihm musikalisch emotionalisieren. Künstlerherz, was
willst du mehr?
Zum Beispiel ein wenig die Aussöhnung mit der Vergangenheit.
Verstehen, was damals lief. Die andere Seite soll es erklären.
Mandoki lernt Michail Gorbatschow kennen. Sie diskutieren miteinander.
Stundenlang. Immer wieder. Mandoki bekocht den einstigen
Präsidenten der UdSSR. Kochen, seine dritte Leidenschaft, neben
der Musik und dem Diskutieren. Mandoki und Gorbi sind Freunde geworden.
Komisch irgendwie. Aber es hat ihm manches leichter gemacht. Zum
Beispiel das Gestern verstehen. Raissa Gorbatschowa verehrt er.
„Die hat uns alle, West wie Ost, vor einem Desaster bewahrt,
glaubt er. „Ohne sie hätte das alles anders ausgehen
können.“
Wenn man eine Vision hat, darf man die neben dem Tagesjob nie
verlieren. Sonst hatte man nie eine. Parallel zu seinen vielseitigen
Produktionen entstand Mitte der 90er Jahre das Projekt MAN DOKI. Der
Name ist Programm. Seine Musik. Leslie Mandoki’s musikalisches
Konzept überzeugte die Freunde, mitzumachen. Seine Freunde, das
sind Musiker, deren Name allein den Fans die Tränen in die Augen
treiben. Jack Bruce, der Bassist von CREAM. Ian Anderson (Jethro Tull),
Nik Kershaw, Chaka Khan, Joshua Kadison, Steve Lukather (Toto), Guru
(Jazzmattaz) oder Peter Maffay und etliche mehr. Und obwohl der launige
Zeitgeist gerade ganz woanders zu spielen scheint: Mandokis
„People in Room No. 8“ geht 1997 in die Charts. Publikum
und Fachpresse sind verblüfft. Mandoki bringt die Hippie-Truppe
ins Studio der erfolgreichsten Unterhaltungssendung des Deutschen
Fernsehens. Thomas Gottschalks "Wetten, dass...?" Der Showmaster,
dessen Herz im Takt des Classic Rock schlägt, kündet Mandokis
Truppe so an: "Ein Auftritt, wie er nicht alle Tage bei uns
stattfindet: Nicht weniger als 139 Goldene Schallplatten marschieren
jetzt ein, 29 mal Platin, 26 Grammys. Das hat es noch nicht gegeben!".
Jetzt ist er angekommen. Und seine Musik mit ihm. Das hat er immer
gewollt. Nicht die Plattenbosse entscheiden, welche Musik gespielt
wird. Wenn Leslie Mandoki draufsteht, entscheidet auch Leslie Mandoki.
Authentizität gepaart mit künstlerischer Autonomie. Das
musste er fortsetzten. Er hatte keine Wahl. Du kannst nicht nur von
Visionen reden, du musst sie leben. Das Projekt MAN DOKI findet nun
seine Fortsetzung. "People In Room No. 8" war der Auftakt für
dieses Konzept. Für die Songs seines musikalischen Lebenswerkes
„Soulmates“ kam die künstlerische Wertegemeinschaft
wieder mit einem fast identischen Line-Up zusammen. „Wir sind
eine Wertegemeinschaft", sagt Mandoki, "das hält uns alle
zusammen! Und der Respekt voreinander sowie der Respekt vor der Arbeit
des anderen und die Demut vor der Musik." Manchmal, scheint es,
schlägt der Zeitgeist Purzelbäume. 2002 ist plötzlich
wieder Gitarrenmusik in den Charts der Renner. Als hätten die Kids
alte Woodstockplatten gehört. Und die DJs spielen mit dem guten
alten Vinyl. Jetzt ist Mandokis Musik keine Nische. Sondern Avantgarde.
Er selber sieht das so: "Wir Hippies haben wieder zueinander gefunden,
um eine ganz besonders leidenschaftliche Vision in diesen kalten, von
oberflächlicher Minimalkommunikation geprägten Zeiten erneut
zum Leben zu erwecken. Zwischen "People In Room No. 8" und
„Soulmates“ gibt es keinen grundsätzlichen
Unterschied. Aber das neue Album empfinden sie auch noch konsequenter.
The same procedure - beim Komponieren hatten wir immer schon im
Hinterkopf, wer welchen Part beisteuern sollte. Wir haben eine Menge
Noten, Texte und Vorproduktionen an unsere Freunde verschickt. Danach
sind sie zu uns ins Studio an den Starnberger See gekommen und haben
eine zeitlang bei uns zu Hause oder im Studio gewohnt. Wir waren in New
York, Los Angeles und London. Man aß und trank zusammen, lachte,
debattierte und machte vor allem gemeinsam Musik!“
Die Atmosphäre während der Produktion von
„Soulmates“ lässt sich kaum beschreiben. Tage- und
nächtelang spielen, diskutieren, produzieren die Träumer,
Bohemiens und verletzlichen Künstlerseelen aus aller Welt
miteinander. „Soulmates“ eben, Brüder im Geiste. Sie
haben eine Menge zu sagen. Über die postideologische
Spaßgesellschaft. Die neuen Themen des neuen Jahrtausends.
Globalisierung. Orientierungssuche, Midlife. „Wir hoffen, dass
wir mit unseren Reflektionen einigen Menschen aus der Seele
sprechen.“ Wie schon bei „People in Room No. 8“ ist
an „Soulmates“ aber wichtig, dass sich völlig
verschiedenartige künstlerische Genies auf eine Sache einlassen
und dass dabei letztendlich etwas Gemeinsames entsteht. „Es ist
ein großes Privileg, unsere Lieder in der Interpretation dieser
einzigartigen Musiker zu hören. Die Aufgabe ist, die
unterschiedlichsten vermeintlich ambivalenten musikalischen Charaktere
auf eine homogene musikalische Reise zu bringen, zu einer Einheit zu
formen und nicht in Eklektizismus zerfallen zu lassen“.
Mandoki, der Rastlose, auf der Suche nach dem perfekten Song, muss die
Berge nicht mehr barfuss besteigen, wie damals, als er 20 war.
„Ich werde ein festes Paar Schuhwerk an den Füssen
haben“, sagt Leslie Mandoki. „Ich habe hoffentlich aus der
Vergangenheit gelernt und werde möglicherweise dort hinkommen, wo
ich immer hin wollte – an die Spitze des eigenen Selbst und
während des Weges immer zu versuchen, die eigene Mitte zu wahren.
Das ist das Ziel und dorthin führt mein Weg.“