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Hubert von Goisern: Fön

 A l b u m   D e t a i l s


Label: Lawine Records
Released: 2000
Time:
59:19
Category: Austro Folk
Producer(s): Hubert von Goisern
Rating: *******... (7/10)
Media type: CD
Web address: www.hubertvongoisern.com
Appears with:
Purchase date: 2000.11.13
Price in €: 12,35



 S o n g s ,   T r a c k s


[1] drawig (hvg) - 4:34
[2] da dasige (hvg) - 3:57
[3] katholisch (hvg) - 3:38
[4] da diab (hvg) - 3:56
[5] ang'lach (hvg) - 6:18
[6] spat (hvg) - 4:33
[7] fön (hvg) - 7:11
[8] kalt (hvg) - 4:48
[9] die strass' n (hvg) - 5:34
[10] weh toan tuat's auf jeden fall (hvg) - 6:39
[11] mercedes benz (hvg) - 3:46
[12] fia di (hvg) - 4:18

 A r t i s t s ,   P e r s o n n e l


hubert von goisern - gesan, pfeiffen, gitarren, diatonische ziehharmonika, flügelhorn, althorn, mundharmonika

arnulf lindner - bass
bernd bechtloff - schlagwerk
burkhardt frauenlob - tasteninstrumente
helmut punzenberger - gitarren
irene troi - violine und viola
monika drasch - violine und stimme
robert friedl - saxofon
ingrid moser - stimme
aia zischg - stimme

wolfgang spannberger - kooproduzent, aufnahme, mischen

 C o m m e n t s ,   N o t e s

 

es hat länger gebraucht als angenommen, bis ich die vorliegende musik entstehen lassen konnte, nach dem erfolg des alpinkatzen — projektes war zeit notwendig, zeit mich zu erden, zeit für meine familie, für reisen und für neue erfahrungen. es waren sechs kurzweilige jahre, und einiges davon wurde auch zu musik. ich denke dabei an die begegnungen mit jane goodall sowie an die zusammenarbeit mit tibetischen musikern, die sich vor zwei jahren auf den beiden alben "gombe" und "inexil" niedergeschlagen haben. seitdem hatte ich den wunsch wieder etwas eigenes zu komponieren. im frühjahr kamen die texte und den sommer verbrachten wir im studio.

das klingt sehr einfach und in gewissem sinne ist es das auch, aber mit musik und texten ist es wie mit der liebe, man kann sich danach sehnen, sich dafür öffnen — sie sind eigentlich immer da; aber um sie in sich zu entdecken, ist es mit dem wollen und mit anstrengung alleine nicht getan. sie fordern alles von uns, fordern über — anstrengung, dass wir unsere anstrengungen vergessen — ja, uns vergessen, dann wird aus musik — machen, text — machen und liebe — machen ein musizieren, dichten und lieben. solche momente entziehen sich der beobachtung von aussen. wir können aber daran teilnehmen, wenn wir die welt um und in uns vergessen: uns hinein- und dazu-hören.

festhalten kann ich sie nie und nimmer, denn es ist nicht möglich, musik, poesie oder liebe zu besitzen. und darum freue ich mich auf die konzerte, aufs musizieren, aufs singen, aufs publikum, auf die zu-hörer — auf euch.

Hubert von Goisern salzburg im september 2000



Nicht nur Muskeln

tz-Gespräch mit Hubert von Goisern zu seiner neuen CD "Fön"

Anfang der 90er hat er die Volksmusik-Szene aufgemischt: Mit seinen Alpinkatzen bewies Hubert von Goisern, dass man, wie er sagt, "sehr wohl die alpenländische Tradition fortführen kann, ohne ein Ewiggestriger zu sein". Auf dem Höhepunkt des Ruhms stieg er vor sechs Jahren plötzlich aus, um wieder mehr Zeit für seine Familie zu haben. Nach diversen Filmmusik-Kompositionen und Ausflügen in die tibetische und afrikanische Musik ist er nun mit dem am Montag erscheinenden Album "Fön" zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Mit dem 48-jährigen Pionier der modernen Volksmusik sprach tz-Mitarbeiter Marco Schmidt.

Sie schreiben im Beiheft zur neuen CD, Sie hätten Zeit gebraucht, um sich zu "erden". Dabei haben Sie doch schon immer einen recht "geerdeten" Eindruck gemacht ...

Hubert von Goisern: "Na ja, im letzten Jahr des Erfolgs mit den Alpinkatzen habe ich schon sehr abgehoben, glaube ich. Man verliert einfach den Kontakt zur Realität, wenn man jeden Tag in einem anderen Hotel ist und die Leute einem jeden Wunsch von den Augen ablesen — da vergisst man, wie es ist, sich durchsetzen zu müssen."

Wie hat sich Ihre Musik im Vergleich zur Alpinkatzen-Zeit geändert?

"Ich wollte eine feinere Klinge ziehen. Die Alpinkatzen waren eher rockig, und das war gut so. Aber jetzt wollte ich mit neuen Musikern zeigen, dass man’s nicht nur mit Muskeln machen muss, dass man sich auch differenzierter ausdrücken kann."

Sie sind viel gereist, haben in Südafrika und Kanada gelebt — was bedeutet Heimat für Sie?

"Heimat ist für mich da, wo man sich traut, etwas zu kritisieren. Je mehr ich meckern kann, desto heimatlicher fühle ich mich. Wenn ich mir irgendwo als Gast vorkomme, dann traue ich mich weniger. Man sieht das auch daran, wie Österreich auf die an sich berechtigte Kritik aus der EU reagiert hat: Kritik gesteht man nur einem Mitglied der Familie zu, nicht einem Außenstehenden."

"Ich muss schnell von da weg", singen Sie in dem Lied "Kalt", in dessen Text sich verschlüsselte Zitate von Jörg Haider finden — wäre er als Bundeskanzler für Sie ein Auswanderungsgrund?

"Nein. Weg wollen würde ich erst dann, wenn ich nicht mehr sagen könnte, was ich denke: wenn es Zensur gäbe, Andersdenkende verfolgt würden und ich zum Beispiel um meine Familie fürchten müsste. Aber ich glaube nicht, dass es in Österreich so weit kommt.

Im Titelstück der CD heißt es: "Alles was Du willst, das geht — wenn Du nur weißt, was Du willst." Wissen Sie’s?

Ja, mal mehr, mal weniger. Wunschloses Glück gibt es für mich nur in ganz kurzen Momenten — ich brauche meine Träume und Wünsche um Sinn in meinem Leben zu finden. Ich bin einfach noch nicht so weit wie Buddha!"

Hören Sie mal

Mit "Fön" ist Hubert von Goisern sein bisher reifstes und stimmungsvollstes Werk gelungen. Einmal mehr hat er die alpenländische Volksmusik harmonisch und rhythmisch erweitert: Hatten seine Alpinkatzen noch auf ungeschliffene Rock-Power gesetzt, so steuern seine neuen Musiker nun filigrane, groovige Jazz-Klänge bei. Bezaubernde Liebesliederfinden sich hier neben bluesig angehauchten Nummern, Reggae-Rhythmen und einer frech umgetexteten Version des Janis-Joplin-Klassikers "Mercedes Benz". Unerhört, was Hubert von Goisern mit seiner diatonischen Ziehharmonika und vor allem mit seiner Stimme anstellt. So außergewöhnlich hat noch keiner gejodelt! Ein höchst atmosphärisches Album, in das man immer und immer wieder eintauchen möchte — einfach großartig!

Marco Schmidt
tz München / Wochenende / Kultur 04./05.11.2000



Hubert Achleitner aus Bad Goisern in Österreich zählt seit Jahren zu den mutigsten Erneuerern der Volksmusik. Zusammen mit seiner Band, den Alpinkatzen, schaffte er es seit Anfang der 90er Jahre, ein breites Publikum für zeitgenössische, aufgeschlossene Volksmusik fernab vom Musikantenstadl zu begeistern. Mit Songs wie "Hiatamadl" oder "Heast as nit" und Alben wie Aufgeigen statt niederschiassen und OMUNDUNTN belegte er vordere Ränge der Charts.

1994 beendete Hubert von Goisern das Kapitel Alpinkatzen und verabschiedete sich für das Erste von der Konzertbühne, 1995 reichte er das Live-Album Wia die Zeit vergeht nach. Im gleichen Jahr komponierte er auch die Musik zu Schlafes Bruder und gab in Die Hölleisengretl sein Debüt als Schauspieler. 1996 reiste er dann nach Tibet und Ostafrika. Die Erfahrungen, die er dort sammelte, verarbeitete Hubert von Goisern in den Weltmusik-Alben Inexil und Gombe.

Auf Fön konzentriert sich der charismatische Sänger und Multi-Instrumentalist wieder darauf, seine Vision lebendiger, außergewöhnlicher, alpenländischer Volksmusik zu verwirklichen. Verschiedenste Einflüsse treffen hier aufeinander und ergeben eine faszinierende Stilmixtur, die deutlich mehr ist als nur die Summe ihrer Einzelbestandteile. "Drawig" zum Beispiel hat den Funk, "Da Dåsige" hingegen basiert auf einem Landler. Blues-, Soul- und Jazz-Elemente tauchen auf, werden vermengt mit Geige, Zieh- und Mundharmonika-Tönen und kombiniert mit Texten, die durchweg im Dialekt gehalten sind.

Im Vergleich zu seiner Zeit mit den Alpinkatzen beweist Hubert von Goisern noch mehr Mut zum Risiko, lässt noch mehr verschiedene Bestandteile unterschiedlichster Genres in seine Musik miteinfließen. Herausgekommen ist ein kühnes Album, das sich nicht auf Anhieb erschließt, einen nach mehrmaligem Hören jedoch in seinen Bann schlägt und das eine der originellsten Coverversionen der letzten Zeit parat hält: "Mercedes Benz" von Janis Joplin, dargebracht mit Ziehharmonika und österreichischem Text.

Wolfgang Hertel, Amazon.de



Hubert von Goisern hat ein Problem: "Versteht eigentlich irgendwer was i da sing, kimmt überhaupt no' oanamit?", formuliert er im Booklet und meint es durchaus ernst. Denn der einstige Senkrechtstarter der progressiven Volksmusik verweigert sich seit einem Jahrfünft dem Schollengetue der Tümlichkeitsfront und ist daher vielen Kleinhirnen ein Rätsel. Nix heile Welt. Es kann sein, was nicht sein darf: Der Künstler denkt und will nicht als Herzbube enden. So zieht er von Tibet nach Afrika und landet schließlich zwischen allen Stühlen. "Fön" ist eines der radikalsten Machwerke alpenländischer Popularmusik, weil es sich an keine Konventionen hält und trotzdem nicht subversiv sein will. Goisern integriert in seinen Stilmix Elemente von Funk und Jazz über Rap und Reggae bis Latin, vermeidet aber raffiniert den kolonialen Blick des Klangtouristen. Sein Dialekt und seine Ziach sind ihm geblieben, der Rest ist ein Goisern neuen Typs, eine Art Sting der Volksmusik, der gute Chancen hat, diesmal von einem ganz anderen Publikum verehrt zu werden.

© Blue Rhythm - Ralf Dombrowski
Blue Rhythm (11/00)



Anfang November werden die CD-Regale Österreichs mit der neuen Hubert von Goisern-CD bestückt. Ziemlich genau sechs Jahre vorher hat er sich nach höchst erfolgreichen Jahren von seinem Publikum überraschend verabschiedet, um Ruhe zu finden und Kraft für neue Projekte zu sammeln. Kein Wunder also, daß die Erwartungshaltung seitens Publikum und Presse nun dementsprechend hoch ist.

Hubert Achleitner alias von Goisern und sein neues Werk werden also mehr als viele andere Produktionen einer kritischen Anhörung unterzogen werden. Ob „Fön“ – so der Titel des neuen Opus – gleich der namensgebenden klimatischen Erscheinung nur warme Luft verbreitet oder ob hier tatsächlich bahnbrechendes Musizieren auf der silbernen Scheibe verewigt wurde – Fragen, die jeder für sich beantworten muß. Also hören wir mal hinein ...„Drawig“ – eine treibende Kontrabaßlinie betimmt die Groove (exzellent gezupft von Arnulf Lindner), ist das tatsächlich die neue Goisern-CD? Klingt eher nach HipHop, Funk – da setzt die Steirische (die diatonische Ziehharmonika) ein, kurz darauf unverkennbar die Stimme von Hubert von Goisern – rappenderweise, jedoch im Bad Goiserner Dialekt. Dazwischen blitzen Hammondorgel und funky Gitarrenriffs auf.

Drawig (eilig) hetzt man der ersten Hookline entgegen, die da auch schon sehr flott daherkommt. Der erste Punkt geht an Hubert von Goisern, er hat den Sprung ins neue Jahrtausend geschafft und seine Ohren für die Musik der Jetztzeit weit offen gelassen. Gleichzeitig passen Text und musikalische Umsetzung perfekt zusammen, mit Vollgas schlittert der Zuhörer in die volksmusikalische Weltanschauung des Hubert Achleitner.Wesentlich gemütlicher beginnt die zweite Nummer mit einem Wechselbaß auf der Ziehharmonika und einem Vierzeiler aus dem Salzkammergut. Doch da kommt schon wieder der Arnulf Lindner mit einer Baßlinie daher, die in die Beine fährt, Burkhardt Frauenlob gesellt sich mit einer Salsa-ähnlichen Pianobegleitung dazu, irgend jemand ist der Hammond auf den Schwanz gestiegen, sie heult auf, und schon wird’s wieder groovig. Unbeeindruckt von der instrumentalen Stilvielfalt, singt der Hubert seine Gstanzln über einen Rhythmus, der seinen Vorfahren wohl eher nicht geläufig war. „Versteht eigentlich irgendwer, wås i då sing ...“ – klar, den Refrain von „Da Dåsige“. Doch beim ersten Mal Anhören verstehe ich nicht, warum da plötzlich Steeldrums zu hören sind. Ungeachtet dessen gibt sich Huberts Talent für ins Ohr gehende Melodielinien auch zehn Jahre nach seinen ersten großen Erfolgen wieder zu erkennen.

Ein relaxter Reggae wird angestimmt. „I wollt, i war a wengerl mehr katholisch ...“ , singt er im Refrain. Kein Wunsch nach mehr Glaubenstiefe, sondern viel mehr ein mit der Scheinmoral unserer Gesellschaft ins Gericht gehendes kritisches Lied . Musikalisch eher unspektakulär, ist das Interessanteste an der Nummer die Verknüpfung des kritischen Textes mit dem verspielten Konglomerat aus Reggae und Jodler. Konsequent wird das Tempo von Nummer zu Nummer runtergeschraubt. „Da Diab“ entpuppt sich als harmloses Liebesliedchen – harmonisch, ausgewogen, plätschernd.Noch ein Titel mit sehr entspannten Jamaika-Grooves – ähnlich unspektakulär wie sein Vorgänger, ebenfalls ein Liebeslied: die Nummer fünf – „Ång’låcht“.„Spåt“ hingegen ist der erste Höhepunkt, auf den konsequent hingearbeitet wurde. Das Tempo wurde nicht nur einfach noch weiter gedrosselt, sondern in die Pause geschickt. Hubert von Goisern setzt zu einem Jodler an, der seineRhythmik nur duch die Atemfrequenz des Sängers erhält. Bis jetzt hatte ich ein gespaltenes Verhältnis zu dieser Produktion, doch in der ersten Minute des sechsten Titels ist es gelungen, die Zeitlosigkeit dieses Singstils zu untermauern – und die Nähe des andächtigen Jodlers zu anderen archaischen Gesangsformen, die ohne Rhythmus und Begleitung auskommen, ins rechte Licht zu rücken. Der zweite Punkt geht an Hubert von Goisern.Das Titellied „Fön“ ist perfekt plaziert – nach dem absoluten Ruhepol nun ein Blues, der nach einem einfühlsam intonierten Vokalteil mit einer bestechend schönen Flügelhorn-Improvisation aufwarten kann. Wir blättern zur Musikerliste und suchen den Namen des Solisten. Die Überraschung ist perfekt, als sich herausstellt, daß Hubert von Goisern höchstpersönlich seinen Fön ins Blech schickt und gleich zu einer zweiten Impro-Runde ansetzt, um sich mit Gitarrist Helmut Punzenberger in instrumentale Plauderein zu verstricken.

Gabriel lernt jodeln.
Die ersten Takte der Nummer Acht erwecken Erinnerungen an alte U2-Platten, leiten den politischen Teil der Produktion ein. „Mir is kalt und wird immer kälter“ läßt keine Zweifel über Huberts Haltung zur momentanen politischen Situation in unserem Land offen, ohne den Beelzebub beim Namen zu nennen. Der zehnjährige Sohn des Schreibers dieser Zeilen hat das Lied spontan zu seinem derzeitigen Lieblingslied erklärt, soviel zum Thema „ins Ohr gehende Refrains“.Wir bleiben bei Brit-Pop-Rock beeinflußten Nummern. „Die Stråss’n“ könnte eigentlich auch eine Komposition von Peter Gabriel sein, nur den Jodler im Mittelteil hätte man ihm nicht abgenommen. Das ist eben der Vorteil, wenn man seine Roots im Alpenländischen hat. Mit „Weh toan tuat’s auf jeden Fall“ nähert sich Hubert noch einmal sehr vorsichtig dem Blues, baut das Lied sehr spannend auf, um es schließlich in eine ausgelassene Vokal- und Althorn-Improvisation (richtig getippt: wieder bläst er selbst!) ausufern zu lassen.„Geh Herrgott, hiazt kauf ma an Mercedes Benz ...“ – wer da jetzt an die viel zu früh verstorbene Rockröhre denkt, hat vollkommen recht. Titel Elf ist die einzige Fremdkomposition dieser CD und gleichzeitig ein alpenländisch angehauchtes Janis Joplin-Zitat, das für Puristen aus der Hippie-Ära wahrscheinlich an Leichenschändung grenzt. Für mich ist es schlicht eine amüsante Cover-Version eines Klassikers, die durch ihre Abgehobenheit besticht. „Fia di“ ist ein sehr schöner Schlußpunkt für diese Produktion und lebt von der ungewöhnlichen Gesangslinie. Der ständige Wechsel zwischen Kopf- und Bruststimme ist eigentlich das Hauptmerkmal des Jodlers. Hier wird dieses Stilmittel in die Melodie einer Ballade eingebaut, was diese aus dem Durchschnitt heraushebt.Zugegeben, ich war sehr skeptisch. Ein erstes flüchtiges Hineinhören in diese CD hat mich auch nicht überzeugt. Doch je öfter ich diese Produktion höre, umso mehr gelange ich zu dem Schluß: Gut, daß der Hubert von Goisern sich damals vor sechs Jahren verabschiedet hat, und sehr gut, daß er jetzt wieder da ist.

Goisern im Gespräch.
Nachdem es eine neue CD zu promoten gibt, trifft man Hubert von Goisern zur Zeit auch wieder in der Bundeshauptstadt an. Am 22. September stellte er sich Herbert Höpfl zum Interview ...

Du bist im November 1994 das letzte Mal mit den Alpinkatzen aufgetreten und hast gesagt, du möchtest eine Ruhe haben. Was hat dich bewogen, wieder etwas neues zu produzieren?
Ich habe damals allen gesagt, ich möchte das Projekt beenden und daß ich mir vorstellen kann, in zwei Jahren wieder etwas in dieser Richtung zu machen. Aus den zwei Jahren sind mitterweile sechs geworden, aber es haben sich in der Zwischenzeit soviele spannende Sachen ergeben, daß es eben solange gedauert hat. Ich wollte ganz einfach wieder den direkten Kontakt zum Publikum haben.

Hat es dir damals gerreicht?Ich war damals erschöpft.
Wenn ich weitergemacht hätte, wäre es eine Art Wiederholung gewesen, ich hätte sicher noch ein paar Platten im selben Stil machen können, doch das wären Variationen zum selben Thema gewesen. Und das wollte ich nicht. Ich brauche einfach das Abenteuer, wo ich selbst wieder Neues ausprobieren kann. Und das wäre in der damaligen Form nicht möglich gewesen, weil die Dynamik einer Gruppe, die so etwas erlebt hat und die so einen Erfolg gehabt hat, dann irgendwann doch wieder das weitermachen will, was so erfolgreich war. Die Experimentierfreudigkeit bleibt dann auf der Strecke. Darum wollte ich etwas Gras darüber wachsen lassen.

Hat dich das „Hiatamadl“ aufgrund des damaligen überraschenden Erfolges nicht kreativ etwas behindert?
Das war nicht der Fall bis zum Zeitpunkt der Erwartungshaltung des Publikums. Das „Hiatamadl“ war ja nur eines von vielen Liedern, die ich damals geschrieben habe, es wurde halt von den Radios rauf und runter gespielt. Ab dem Jahr 1992, als wir dann vor größerem Publikum spielten, kam es live oft nach zwei bis drei Songs zur großen Verblüffung bei den Zuschauern, weil es nicht die nächsten zwei Stunden „Hiatamadl“-like weiterging. Es war ein intensiver Prozeß und eine Auseinandersetzung mit dem Publikum, ich habe manchmal eine Viertelstunde nur mit dem Publikum gesprochen und ihnen klargemacht, was in den nächsten zwei Stunden auf sie zukommt, und wenn es ihnen nicht paßt, dann könnten sie ruhig gehen und sich das Geld an der Kassa zurückgeben lassen. Und es sind auch Leute gegangen – aber da war ich einfach kompromißlos. Und die geblieben sind, die haben es dann nachvollzogen.

Versuchst du, an diese Zeit anzuknüpfen?
Überhaupt nicht. Mann kann sich zwar vorher allerlei vornehmen, aber ich bin nicht so ein Typ, der sich zum Instrument setzt und gleich die Noten runterschreibt. Diese Dinge entstehen, das einzige was man als Komponist machen kann, ist, sich in den Zustand der Bereitschaft zu begeben, wo man aufnahmefähig für das ist, was einen berührt oder sich so um einen tut. Es ist nie so, daß ich mich hinsetze und ein Lied wie eines von Peter Gabriel oder wie das „Hiatamadl“ macht. Im Nachhinein, in der Reflexion, taucht dann natürlich auf, daß das eine Lied von dem oder das inspiriert wurde. Ich bin dann selber erstaunt, wenn so eine Nummer wie „Katholisch“ zum Beispiel in Entferntesten an den alten Zeiten anschließt, und denke mir, aha, da ist noch etwas von vergangenen Zeiten da. Das Ganze hängt natürlich auch mit dem Instrumentarium zusammen, eine Ziehharmonika ist eine Ziehharmonika und eine Diatonische ist eine Diatonische und du mußt dich eigentlich anstrengen, daß du von dem wegkommst, was aus dem Instrument ja von selber rauskommt. Dasselbe ist mit dem Singen. Wenn man das Jodeln ausbaut und ausreizt und versucht, neue Wege zu entdecken, dann wird es immer noch von Leuten mit unserer alpenländischen Tradition assoziiert.

Im Lied „Die Strassn‘ heißt es: „Wer si no nie g’fürcht hat wird si niemals a was traun“ – wovor hat Hubert von Goisern Angst?
Wooh, da fällt mir spontan nur dieser gallische Spruch ein, daß mir der Himmel auf den Kopf fällt (lacht!). Ich habe vor nichts Konkretem Angst, aber Angst ist mir natürlich was Vertrautes. Angst habe ich, wenn meine Kinder nicht zur rechten Zeit zu Hause sind oder wenn ich auf einen Berg mit hohem Schwierigkeitsgrad klettere. Ich kann nur Heinrich Harrer zitieren, der auf die Frage eines kleines Kindes, ob er Angst habe, geantwortet hat: „ Sicher sehr oft, aber wer keine Angst hat, der kann auch nicht mutig sein“. Das ist mir zu diesem CD-Titel so hängengeblieben, ich hatte einen hochdeutschen Text, der aber zu pathetisch war.

Die neue CD überzeugt durch teilweise sehr gelungene Instrumentierungen und exzellente Umsetzungen einzelner Musiker. Nach welchen Gesichtspunkten hat du die Musiker für die CD ausgewählt?
Die Kompositionen sind fertig gewesen, und ich hatte so einen nebulosen Sound im Ohr gehabt und nach dem habe ich die Musiker ausgewählt. Ich will aber nicht mit Musikern spielen, die perfekt in allen Richtungen sind. Ich suche Leute aus, die genauso sind, wie ich sie haben will. In den sechs Jahren war ich viel im Studio und habe etliche gute Musiker kennengelernt, so zum Beispiel Pianist Burkhard Frauenlob. Es muß natürlich auch menschlich passen, es müssen nicht nur alle mit mir können, sondern die Musiker müssen sich auch untereinander verstehen. Mit dem Bernd Bechtloff am Schlagzeug habe ich auch schon in Tibet zusammengespielt, bei den Bassisten habe ich ein paar ausprobiert und bin dann beim Arnulf Lindner hängengeblieben.

Musikalisch zeichnet sich die neue CD durch eine enorme Vielfalt stilistischer Einflüssen aus, sie wirkt aber zeitweise inhomogen. Ist stilistische Eigenständigkeit eine Frage der musikalischen Reife?
Ich bin ein Sammelsurium von Eindrücken und bin auch schon viel herumgekommen. Und wenn man sich überlegt, was man so einen ganzen Tag an Eindrücken erlebt, so ist das auch alles andere als homogen. Das einzig Homogene ist man selbst. Und so ist es bei allen meinen CDs. Aber daß es da einen engen thematischen Bogen oder ein Programm, geschweige denn ein Konzept - oder Konzeptalbum gibt, ist nicht der Fall – das ist nicht meins. Das Konzept bin ich! (schmunzelnd). Was übrigens einem Konzeptalbum noch am nächsten kommt, war meine Afrika-CD.

Wie haben sich deine Produktionen „Gombe“ und „Inexil“ auf die Vorbereitungen für diese CD ausgewirkt?
Es war eine Erfahrung und eine Bereicherung für mich, und wenn ich sie nicht gemacht hätte, dann hätte ich diese Geschichten sicher in meine neue CD eingebracht. Ich habe aber nach den beiden CD-Produktionen den ganz großen Wunsch gehabt, wieder etwas Eigenes zu machen. Wo ich niemanden fragen muß und wo ich auf niemanden Rücksicht nehmen muß. Denn bei der Tibet-und Afrika-CD mußte man immer zurückhalten, daß man niemanden verletzt bzw. ausbeutet, daß man nicht als Kolonialherr auftritt, nur weil man die Mittel hat, eine CD zu produzieren. Das setzt ein behutsames Vorgehen voraus, auf die thematische Vorgabe muß man sich eben einlassen. Das ist eben anders, als wenn man seine eigene Produktion macht. Da muß ich niemanden fragen, da bin ich das einzige Korrektiv. Ich kann dann sagen: „Mir gefällt’s und mir is‘ wurscht, was ihr dazu sagt. Ich mach‘ das so, wie ich will“. Also insofern war die Vorerfahrung wichtig für die jetzige CD.

Man hat den Eindruck, daß der Jodler das eigentliche Metier des Hubert von Goisern ist. Ist der Jodler in Verbindung mit Blues-Elementen deine musikalische Heimat?
...hmm (nachdenklich)... ich glaube, das ist unsere musikalische Heimat.

Was meinst du mit „uns“? Österreich?
Ja, es wird in Wien gedudelt, es wird in Tirol, in Kärnten, Salzburg gejodelt, aber es ist einfach das, was da ist. Eine musikalische Tradition. Und nachdem ich da zu Hause bin, ist es für mich wichtig, mich mit diesem Faktum auseinanderzusetzen, ob in einer kritischen oder in einer kreativen Form. Die traditionellen Formen des Jodelns gibt’s en gros auf CDs, es ist nicht notwendig, in diese Richtung zu arbeiten. Für mich ist der kreative und spielerische Umgang damit viel interessanter. Man saugt das nicht aus den Fingern, sondern natürlich aus der Tradition, vermischt mit meinen vielen Reiseeindrücken – oder was ich mir so auf CD auflege.

Wie stehst du zur Kategorisierung „Neue Volksmusik“, die eigentlich nicht zuletzt auch durch dich entstanden ist?
Ausdrücke kann man immer so oder so auslegen. Wenn man ein neues Wort erfindet, wie in diesem Falle „Neue Volksmusik“, dann definiert im Prinzip der Erfinder die Bedeutung dieses Wortkonglomerats. Wenn also der Erfinder sagt, Broadlahn, Attwenger, Hubert von Goisern definieren wir als „Neue Volksmusik“, ok. Was soll ich darauf sagen? Wenn ich sage, nein, das ist es nicht, dann setze ich voraus, daß ich weiß, was „Neue Volksmusik“ ist. Ich bin sicher in dieser Kategorie drinnen, aber diese Kategorie machen die Menschen der schreibenden Zunft, und die sind nicht die Meinen. Ich glaube aber, daß die Volksmusik zu dieser Zeit eine Renaissance gehabt hat. durch die erwähnten Gruppen und durch mein Musizieren. Es war aber auch eine Art Renaissance der tradierten Volksmusik, denn ich habe mit etlichen Leuten der Volksmusikforschung gesprochen, darunter gab es klarerweise auch Feinde meiner Musik, die haben bestätigt, daß die Kinder wieder Interesse gezeigt haben, ein Volkslied zu singen oder daß sie das Jodeln etwas Lässiges finden oder daß sie die steirische-diatonische Ziehharmonika als ein klasses Instrument betrachteten. Da hat es schon einen Boom gegeben. Abgesehen von Broadlahn, Attwenger, Hubert von Goisern und vielleicht noch ein paar wenigen anderen, die ich gar nicht kenne, ist keine Welle ausgelöst worden. Es ist nicht so, daß es derartig viele Leute befruchtet hat und die sich jetzt trauen, musikalische Traditionen mit der Gegenwart zu vermengen. Eigentlich ist da nichts weiter passiert. Es scheint so, daß sich aber wieder etwas tut, Broadlahn ist ja nie zu Tode getragen worden, auch wenn sie schon einige Tode gestorben sind, es gibt sie noch. Von Attwenger habe ich gehört, daß sie auch wieder etwas machen. Vielleicht ist es wieder ein Anstoß für andere, wenn ich jetzt wieder etwas mache.

Bist du ein politischer Mensch?
Ja, schon. Ich glaube, daß es wichtig ist, sich mit der Politik auseinanderzusetzen. Im Grunde genommen bedeutet Politik einfach: Umgang mit den anderen. Wir leben nicht alleine auf einer Insel, wir brauchen einander. Selbst bei den Schimpansen, die ich mit Jane Godall in Afrika beobachten konnte, sieht man, daß sie einander brauchen. Wenn ich sage, es interessiert mich nicht, was da abläuft, dann passiert genau das, was bis jetzt war, nämlich Desinteresse. Die Politikverdrossenheit hat eigentlich zu dem geführt, wo wir jetzt sind. Die Regierungsparteien, die jetzt abgewählt wurden, haben es leicht gehabt, weil ihnen kaum wer auf die Finger geschaut hat. Daher die logische Konsequenz. Und ich mache gar nicht so sehr den Menschen, die die FPÖ gewählt haben, den Vorwurf. Den Vorwurf mache ich jenen 20%, die gar nicht wählen gegangen sind. Denn dann würde es heute anders ausschauen. Da ich ein optimistischer Mensch bin, kann ich nur hoffen, daß der jetzige Zustand ein heilsamer Schock sein wird, denn das politische Interesse ist im letzten halben Jahr rapide angestiegen. Und da kann man nur hoffen, daß es das politische Demagogentum nicht mehr so leicht wie früher hat.

Bericht: Manfred Ergott
Interview: Herbert Höpfl
 

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